Transpyrenees Ultracycling Race 2019
Das Transpyrenees Ultracycling Race 2019 – das sind 950km vom Mittelmeer über die Pyrenäen an den Atlantik. Die Strecke von Ost nach West durch Spanien und Frankreich ist gespickt mit über 30 Bergen – darunter so namhafte Cols wie der Tourmalet, der Aspin oder der Superbagnere. In Summe: 24.000 Höhenmeter.

Prolog
Mich für das Rennen anzumelden habe ich erst Ende April entschieden als klar war, dass wir den Sommer ohnehin auf der iberischen Halbinsel verbringen werden. Da war die Saisonvorbereitung schon voll im Gange und ich hatte neben diversen Zwift.com-Rennen im Winter schon den Grand Fondo Strade Bianche und Eschborn-Frankfurt gefahren, um mich auf den ersten Saison-Höhepunkt, die Tour du Mont Blanc im Juli vorzubereiten. Von daher sollte das Transpyrenees Ultracycling Race nochmal als letzter Härtetest dienen.
Das mir lange Distanzen gut liegen habe ich spätestens mit dem 4. Platz overall bei der Tour du Mont Blanc im letzten Jahr gesehen. Ein Rennen über 950km – also eine echte Ultracycling-Distanz – bin ich aber noch nie gefahren. Zum „Spaß“ mal von München an den Gardasee, oder Valencia-Madrid-Valencia, ja – aber eben nie als Rennen. Also: Nichts wie rein ins Abenteuer.
Start für das Transpyrenees Ultracycling Race war am 29.06.2019 in Llanca, Spanien, an der Mittelmeerküste. Mein Abenteuer begann aber defacto schon zwei Tage vorher: Mein Rotor 2inPower Powermeter hat den Geist aufgegeben und ließ sich nicht mehr laden. Scheinbar Batterie defekt. Spezieller Akku, spezielles Werkzeug nötig – nichts was man irgendwo auftreibt. Also mit 6 Radläden in Girona telefoniert, mit Rotor in Madrid telefoniert und am Ende irgendwie eine Lösung herbeigezaubert: Biciescapa.com in Girona leiht mir ein Powermeter für das Rennen und Rotor schickt mir einen neuen Akku und das Spezialwerkzeug zum Wechseln nach San Sebastian. Sicher hätte ich zur Not auch ohne Powermeter fahren können – aber als Gewohnheitstier wäre die Frage nach der Leistung am Pedal nur eine weitere Unbekannte in der langen Liste von „Was nehme ich mit, wie teile ichs mir ein, wann und wie schlafe ich, wie verpflege ich mich“ gewesen. Alles Fragen mit der Antwort: Werde ich ausprobieren. Aber wenigstens meine Leistungskurve über die Zeit im Blick behalten zu können war mir schon irgendwie wichtig.
Bikepacking. Auch eine Wissenschaft für sich. Was braucht man für 950 Kilometer in den Pyrenäen? Windjacke, Weste, Armlinge, Powerbanks, eine Rettungsdecke, ein bisschen Werkzeug und ein Tubular-Ersatzreifen. Das wars. Und – auch ja: Dutzende Nutellariegel, Powerbar-Riegel, Küchlein und sonstiges. Defacto war meine halbe Tasche voll mit Essen – mein Plan war so lange wie mögich ohne größeren Einkaufsstopp durchfahren zu können.
Nachdem ich dann am Samstag vormittag gepackt hatte, gabs am Mittag noch die Registrierung in Llanca und am Abend das Race Briefing um 19.30 Uhr durch die Organisation, bevor es dann um 21.30 Uhr Richtung Start und um 22.00 Uhr auf die Strecke ging. Gefühlt wollte der Samstag einfach nicht vergehen. Die Stunden bis zum Start zogen sich und mit jeder Stunde stieg gewissermaßen auch die Anspannung.
Startschuss und die erste Nacht
Dann endlich: 22 Uhr am Hafen von Llanja – die Polizeieskorte setzt sich in Bewegung, es geht los. Aus Llanca heraus noch neutralisiert, dann geht es auf die Küstenstraße, der Polizeiwagen fährt irgendwo rechts ran – ab hier ist das Rennen nun freigegeben. Das Tempo auf den ersten 10 Kilometern bis zum Col de Frare war höher als ich dachte – und zog dann im ersten Anstieg, der nur knapp 4km lang war und bis auf 175m hinauf ging nochmal ordentlich an. Auch die erste Abfahrt wurde ziemlich wild gefahren – mittlerweile war es schon zappendustern und in der großen Gruppe – wahrscheinlich um die 30 Fahrer – noch ordentlich Unruhe. Am zweiten Berg nach 40km wurde dann sogar richtig attakiert – gefühlt eher ein typischer Radmarathon mit 150km – nicht ein 950km Rennen. Na das kann ja heiter werden dachte ich mir – ging aber zumindest erst einmal mit. Bis hier hin hatte sich die Gruppe schon auf < 15 Fahrer herunterselektiert.
Innerhalb der ersten 2-3 Stunden hatte sich dann eine homogene Spitzengruppe gefunden, in der neben mir auch noch ein weiterer Deutscher, Christoph Fuhrbach, und 4 weitere Fahrer durch die Nacht pedalierten. Nach 3 Stunden, die wir immernoch mit einer Normalized Power von > 250 Watt fuhren, machten wir dann einen ersten kurzen Stopp an einem Brunnen – Wasser nachfüllen. In der Abfahrt danach verliere ich den Deckel von meiner Trinkflasche – na danke. Das kann bei der Hitze morgen ja heiter werden.
Anyway – weiter geht es durch die Nacht – nach wie vor mit sehr hohem Tempo, unsere Gruppe schrumpft zusammen, ich unterhalte mich viel mit meinem Landsmann Christoph. Um 4 Uhr morgens sind wir noch zu viert in der Gruppe – wir beide und zwei Spanier. Ab 5 Uhr morgens sind Christoph und ich dann allein und klettern am 23km langen Col de Creu, dem ersten „echten Berg“ mit 1701m Höhe dem Sonnenaufgang entgegen. Als wir über die Kuppe fahren haben wir auf unsere spanischen Verfolger schon mindestens 10 Minuten Vorsprung – läuft.
Kurz nach der Abfahrt vom Col de Creu trennen wir uns – Christoph macht in einer Flachpassage etwas langsamer, ich lege mich auf den Oberlenker und ziehe durch. Gegen 6.30 Uhr bin ich also in Führung und denke mir: „Krass – jetzt bist Du der gejagte, jetzt heißt es gut taktieren und einteilen, aufpassen, Glück haben, whatever. Kette rechts!“. … die Gedanken mit der Euphorie halten keine 30 Minuten: In der nächsten Abfahrt steht plötzlich ein riesen kräftiges Pyrenäenpferd auf der Straße – erschreckt sich und trabt auf mich zu. Voll in die Eisen – quietsch – knall – das Pferd flieht, ich stehe. Nicht passiert. Oder doch? 3cm langer Riss im Hinterreifen – der grobe Asphalt hat den Reifen komplett aufgeschlitzt. Na klasse – der erste Reifen(total)schaden nach knapp 200km und neben 1 Ersatzreifen sonst nur Pannenspray dabei. Reifen abziehen, neu aufkleben, aufpumpen, Christoph fährt wieder an mir vorbei – 20 Minuten verloren – und hinterher.
Nach der Panne stand dann mit dem Col de Pailhères der erste 2000m-Berg an, den ich nun solo in der angenehmen Kühle und dem herrlichen Licht des Morgens hinaufkurbelte. Auf die Stunden nach der ersten Nacht hatte ich mich besonders gefreut – im dunklen verpasst man leider die mitunter tolle Landschaft, durch die man wahrscheinlich fährt. Hier wurde ich nun voll und ganz entschädigt: Immer wieder tolle Ausblicke, satt grüne Landschaften, kleine Straßen, kaum Verkehr – in der Tat etwas wie „the land made for cycling“. Mittlerweile hatte auch der weiße Van der Transpyrenees-Organisatoren zu mir aufgeschlossen und hat im Verlauf der Strecke die tollen Fotos gemacht, die ich hier zeige.
Tag 1 – oder die Hitzeschlacht
Wie erwartet wurde es im Verlauf des Vormittages nun immer wärmer und wärmer – das Wetter liegt mir aber. So spulte ich Kilometer um Kilometer ab, immer wieder nur unterbrochen von kurzen Stopps an Brunnen um Wasser aufzufüllen. Das ich mir Iso-Tabletten mitgenommen hatte um dem Wasser Geschmack, Energie und Elektrolyte zuzusetzen hat sich hier das absolut richtige Entscheidung erwiesen. Supermärkte, Tankstellen oder ähnliches, wo der Non-Supported-Ultracycler sonst gern seine Verpflegung organisiert, sucht man hier entlang der Strecke meistens vergebens. Zwar hatte ich mir vorab auf GoogleMaps noch Tankstellen gesucht, die 24/7 geöffnet haben – meist hieß das dann aber, dass es eine Zapfsäule mit Kreditkartenterminal gibt und der Shop am Sonntag trotzdem geschlossen war. Hier in der französischen Provinz tickt eben doch alles etwas gemütlicher als bei uns in Deutschland.
Bis zum frühen Vormittag lieferte ich mir mit Christoph Fuhrbach ein kleines Katz-und-Maus-Spiel: Mal fuhr er auf Platz 1, mal ich. Getroffen / auf der Strecke überholt haben wir uns dabei nie. Ausschlaggebend für die Positionswechsel waren wahlweise kürzere Pausen oder das ein oder andere falsche Abbiegen / Fehlrouting im Streckenverlauf. Der Abstand zwischen uns war dabei nie größer als 5 – 15 Minuten, den Abstand auf unsere Verfolger Chris Hinds (UK) und Javi Gamallo (ES) konnten wir aber kontinuierlich ausbauen und zwischenzeitlich schon bei über 30 Minuten stabilisieren. Nach rund 350km und 16h Fahrzeit im Anstieg zum Col de la Core auf 1.395m konnte ich dann wieder zur Christoph aufschließen. Die Transpyrenees wird als Solo-Non-Supported-Race gefahren – heißt sowohl Windschatten als auch gegenseitiger Support sind für die Regelkonformität zu vermeiden. So kurbelten wir immer fair nebeneinander her und waren beide schon zufrieden um etwas Gesellschaft und Unterhaltung. Zugegebener Maßen wichen die Unterhaltungen mit Inhalt im Verlauf des Nachmittags aber immer mehr dem kontinuierlichen Schnaufen und Jammern. Zwischen 15 und 17 Uhr hatten wir selbst auf den Gipfeln des Portet D’Aspet (1.069m Höhe) und Col de Menté (1.349m Höhe) nicht weniger als 35 Grad Celsius am Garmin – und gerade im Anstieg, wenn wir uns mit selten mehr als 10km/h den Berg hochquälten, knallte die krasse Hitze noch einmal mehr. Im Zentrum des Jammerns stand primär die Frage: Wie um Gottes Willen sollen wir den Superbagneres bezwingen, der mit steilen Rampen und im Durchschnitt knapp 7% Steigung über 17km lang ist und bis auf 1.804m als nächster Berg anstehen würde und den Half-Way-Point des Rennens markieren würde. Wir litten beide so richtig und es schien so, als würde sich jetzt die temporeiche Fahrt der ersten Nacht sowie die kontinuierliche Verfolgungsfahrt der ersten Tageshälfte rächen. Auf dem Col de Menté oben angekommen war eine längere Pause (ok, 15 Minuten) unausweichlich: Eis essen (3 Stück pro Person) und im Brunnen abkühlen. Hier sind mit der Media-Crew des Rennens sehr schöne Bilder entstanden:
Die Abfahrt vom Col de Menté war mit nassem Trikot, vollgesogen mit eiskaltem Quellwasser, einfach herrlich. Bis nach Bagneres-du-Luchon am Fuße des Superbagneres waren es noch 30 ziemlich zermürbende Kilometer im Flachen, aber auch die waren irgendwann geschafft. Bagneres-du-Luchon war am Sonntagabend um 18 Uhr ziemlich ausgestorben: Die Tankstelle geschlossen und auf dem Weg zum Anstieg keine einzige Wirtschaft in der nochmal Cola oder Eis zur Stärkung besorgt werden konnten. Erst ein Campingplatz am Beginn des Anstieges brachte die Erlösung: Auch hier nochmal 3 Eis kaufen, 2 in die Trikottasche, 1 in die Hand, ab aufs Rad und rauf auf den Superbagneres. Nach einigen flachen Kilometern im Ort legt der dann auch so richtig los: 10-12% Rampen – aber immerhin zum Teil im Schatten. 19.41 Uhr war es dann endlich so weit: Der Gipfel war bezwungen. Gar nicht so schlimm, wie am Nachmittag befürchtet, aber dennoch wahnsinnig kräftezehrend. Gipfelselfi mit dem GPS-Transponder machen, an die Orga-Crew schicken und rein in die Abfahrt. Jetzt begann das Rechnen: Wie groß wird der Vorsprung auf die Verfolger sein und werden wir ihnen in der Abfahrt begegnen?

Bei einsetzender Dämmerung zurück in Bagneres-du-Luchon war klar: Der Vorsprung auf die Verfolger war auf über 2 Stunden ausgebaut – offensichtlich hatten alle Fahrer am Nachmittag Federn gelassen und mindestens genauso gelitten wie Christoph und ich.
Nachdem wir den nächsten Berg, den Col de Peyresourde, erklommen hatten und in einer toll asphaltierten, langgezogenen Abfahrt mit über 80km/h dem Sonnenuntergang entgegenrauschten manifestierte sich in meinem Geist der Gedanke: Ich brauche eine richtige Pause, bevor es auf den Col du Aspin und in die Nacht geht. So hielt ich in Arreau, am Fuße des Aspin, an. Verabschiedete mich von Christoph der noch weiterkurbelte und bestellte im letzten geöffneten Lokal eine Pizza. Und dann noch eine. Mit der längeren Pause fuhr natürlich jetzt, zum ersten Mal nach 23.5h Stunden, mein Körper etwas herunter und wurde so richtig müde. Ich beschloss nach dem Essen in einer Bankfiliale in Arreau noch einen Powernap zu machen – aus dem aber nichts so richtig wurde. Kaum hatte ich mich halbwegs eingerichtet traf sich vor der Bank auf dem Platz die Dorfjugend um bei Musik und Bier zu feiern. Fail – ok – egal – zusammenpacken, ab aufs Rad, weiter gehts. In die Nacht hinein, dem Aspin hinauf. Ich spürte wie sehr mir die Müdigkeit in den Knochen steckt und langsam den Geist vernebelt.
Die zweite Nacht und das Tal der Tränen
Nachdem der Aspin bezwungen war und es in die Abfahrt ging wurde es dann so richtig hässlich: Ich fuhr rein in die Wolken, den Nebel, es wurde auf eine scheußliche Art und Weise nasskalt, mehr als 10-20 Meter gab die Sicht nicht mehr her. Die äußeren Bedingungen gepaart mit meinem körperlichen Zustand setzten der Moral arg zu. In mir reifte der Gedanke: Weiterfahren macht keinen Sinn. Christoph, der noch vor mir war, fuhr immernoch – alle anderen Fahrer hatten sich zur Nachtruhe begeben, wie das GPS Tracking zeigte. In den letzten kleinen Dörfern vor dem Tourmalet war in allen Häusern das Licht schon aus – an eine ordentliche Übernachtungsmöglichkeit á la Pension war damit nicht zu denken. So hielt ich Ausschau nach irgendeinem geschützten Eckchen. Wenig romantisch und toll – aber doch irgendwie rettend: Am Dorfplatz in Sainte-Marie de Campan am Fuße des Col du Tourmalet fand ich ein geräumiges und recht sauberes Toilettenhäusschen. Trocken und warm – nichts wie rein da. Eingewickelt in meine Rettungsdecke entkam ich der nasskalten Suppe und legte mich von 01.30 – 4.30 Uhr zum Schlafen auf den harten Fließenboden. Das sind wohl die absurden Momente, die das Non-Supported-Ultracycling ausmachen müssen.
Als ich aus meiner „Unterkunft“ wieder herausgekrochen kam war sie wieder da: Die Suppe. Nass, kalt, duster. Ich hatte gehofft, dass sich das Wetter über die Stunden verzieht – aber nichts. Anyway – um 4.30 Uhr am Montag morgen saß ich wieder auf dem Rad und es ging direkt den Tourmalet hinauf – erstaunlich wie gut mich die 3h Schlaf wieder hergestellt hatten. Mit richtig Druck am Pedal ging es hinauf auf 2.115m Höhe – fast so, als wäre ich gestern überhaupt nicht gefahren. Auf knapp 1.900m Höhe hatte ich dann die Wolken unter mir gelassen und konnte den Sonnenaufgang genießen. Awesome!
5.58 Uhr stand ich oben auf dem Tourmalet – ein kurzer Blick aufs Live-GPS-Tracking zeigte: Auch Christoph hat diese Nacht am Fuße des Tourmalet offenbar geschlafen bzw. er war immer noch da und schläft länger als ich. Später konnte ich feststellt: Ich habe nun 2.5h Vorsprung auf den zweitplatzierten Christoph und weitere Stunden auf die weiteren Verfolger. Einsam an der Spitze liegend wurde mir so langsam klar: Jetzt heißt es dran bleiben, Glück haben und durchkommen – dann könnte da tatsächlich eine Siegchance bestehen. „Irre“ dachte ich mir – aber schüttelte sämtliche Euphorie auch schnell wieder ab, denn irgendwas zwischen 14 und 16 Stunden am Rad hatte ich noch vor mir und es kann noch alles mögliche passieren.
Das Wetter blieb so ungemütlich wie es an diesen Montag morgen angefangen hatte: Zum Teil bewölt und nass, zum Teil auch regnerisch, nur auf den Gipfeln der Berge zog es ab und an mal auf bzw. viel mehr kletterte ich dann über die Wolkendecke hinaus. Zwischen der Timestation auf dem Tourmalet bei km 562 und der nächsten Timestation, dem Larrau an der französisch-spanischen Grenze bei Kilometer 755 machte ich Tempo – ich wollte meine Verfolger weiter auf Distanz halten. Das klappte ganz gut – trotz zum Teil sehr widerlichem Wetter brachte ich 7 weitere Cols bis zum Port de Larrau hinter mich und konnte später feststellen: Meinen Vorsprung auf den 2. hatte ich auf 3h 15min ausgebaut, der nächste Verfolger (Clément Clisson, 21 Jahre aus Frankreich) erreichte diese dritte Timestation erst 12.5h nach mir.
In der Abfahrt vom Larrau – jetzt wieder ein Spanien – gab es plötzlich einen Wetterumschwung zum Guten. Sonnenschein und Wärme – diedie Temperaturen um 30 Grad waren zurück. Wahnsinn. Nach wie vor leicht ungläubig bzgl. meines Vorsprungs und meiner Performance blieb ich dennoch zurückhalten optimistisch – auch auf den letzten 190km kann noch alles mögliche passieren. Trotzdem war ich froh, dass der letzte große Berg nun hinter mir lag und sah das Höhenprofil vor meinem geistigen Auge, dass auf den Kilometern bis ins Ziel nur noch kleinere Berge ankündigte. Ich begann zu rechnen und stellte mir vor: Wenn alles glatt läuft, ich gut durchkomme usw. wäre eine Ankunft in San Sebastian noch vor Einbruch der Nacht möglich – vielleicht sogar ein knacken der 48-Stunden-Marke.
Tag 2 und die Neverending Story
Krasser Fehler, wie sich immer mehr zeigte: Die letzten 150 Kilometer hatte ich sowas von falsch eingeschätzt – sie wurden gar zu den härtesten des ganzen Rennens. Die „kleineren Berge“ entpuppten sich mit Rampen von 16-18% Steigung als wahre Killer, die Straßen wurden zum Teil nochmal richtig winzig, abenteuerlich, kurvig und mit sehr schlechtem Belag. Das zehrte a) an den Nerven und b) erhöhte das die Wahrscheinlichkeit von Sturz oder Defekt. Gefühlt kam ich überhaupt nicht mehr voran – die Kilometer wollten einfach nicht weniger werden. Die Dunkelheit rückte immer näher – und dann wurde das Wetter nochmal so richtig schlecht. Mit der Dunkelheit kam der Regen und zur späteren Stunde kamen kräftige Gewitter mit Blitz und Donner dazu. Die Temperatur fiel auf 10 Grad. Die Kälte zog mir in die Knochen und laugte mich zusammen mit der Dunkelheit und dem nicht spürbaren Vorankommen zusätzlich aus. Sowohl körperlich, als auch geistig. Nah am Rande der Verzweiflung quälte ich mich weiter voran – irgendwann war auch Kilometer 900 geschafft. Aber auch die 40 Kilometer bis ins Ziel waren nochmal endlos. Immer wieder die Zweifel: Bin ich überhaupt noch auf der richtigen Strecke? Check am GPS-Tracking: Ja, scheinbar schon. Irre.
0.46 Uhr: Die magische Uhrzeit. 10 Kilometer außerhalb von San Sebastian am Streckenkilometer 942: Das Ziel. Das Ende des Rennens. Endlich bin ich da – nach 50h 51min 43 sec. Als erster Finisher. Bei meinem ersten Ultracycling-Race. Ich dachte, dass das jetzt ein besonderer Moment sein müsste – aber so, wie ich ankam, stellt man sich den sicher nicht vor. Ich falle vom Rad. Fluche. Bin komplett durchnässt. Durchgefroren. Kaputt. Fluche noch mehr. Zum Glück wartet Nic mit unserem Kastenwagen und der heißen Dusche hier. Raus aus den Klamotten, rein in die Dusche – die Lebensgeister kehren zurück. Einfach nur froh springe ich nochmal in meine Radklamotten und aufs Rad – schließlich warten noch die letzten 10, neutralisierten Kilometer bis ins Stadtzentrum an den Kurpalast in San Sebastian. Dort wartet die Transpyrenees-Orga-Crew im Ziel.
Wir machen noch einige Fotos, unterhalten uns – ich werde gefragt „wie wars?“. Ich weiß es nicht – so richtig fassen kann ich meinen Sieg bei diesem Event noch nicht. Erstmal was „richtiges“ Essen, schlafen, nicht mehr auf dem Rad sitzen. Das sind die Dinge, auf und über die ich mich jetzt freue.
Nach 4 Stunden Schlaf im warmen Bett geht alles schon deutlich besser. Ich beginne langsam zu begreifen, was ich da zusammengefahren habe. Christoph Fuhrbach kommt am Dienstag morgen um 7.23 Uhr ähnlich lädiert wie ich ins Ziel. Clément Clisson um 17.04 Uhr.
Dotwatcher (https://dotwatcher.cc/race/transpyrenees-ultracycling-race-2019) schreibt eine herrliche Live-Berichterstattung über das Rennen. Am Mittwoch treffen sich so ziemlich alle Finisher, die bis dahin schon im Ziel sind, in San Sebastian zum Abendessen. Geschichten, Erlebnisse, Abenteuer austauschen – ein toller Abend. Für mich unter dem Strich: Eine gigantische Erfahrung und ja – es ist wahrscheinlich sicher: Ich werde in Zukunft sicherlich noch das ein oder andere Ultracycling-Race fahren.